EXPERTENINTERVIEW EXPERTENTELEFON \"Stress\" am 21.10.2010

„Dauerbelastung kann zu tiefer Erschöpfung führen“

Experteninterview zum Thema Stress mit Herrn Dr. med. Siddhartha Popat, MD, niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin in St. Katharinen, Landkreis Neuwied.

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

Vorübergehender Stress kann ein wichtiger Motor sein. Doch was geschieht im menschlichen Körper, wenn er unter Dauerbelastung steht?

  • Dr. Popat: Das Stresshormon Nr. 1 ist das Adrenalin. Dieses wird im Körper gespeichert und im Bedarfsfall zur Verfügung gestellt. Bei Dauerbelastung ist dieser Vorrat irgendwann erschöpft und wenn Erholungsphasen fehlen, geht der Körper an die eisernen Reserven, die sich in den Nebennieren befinden. Das kann zu tiefer Erschöpfung führen.

Frauen gelten als besonders stressanfällig. Woran liegt das?

  • Dr. Popat: Das halte ich für ein Gerücht. Denn die Mehrfachbelastung Beruf, Familie, Kinder, Haushalt würden Männer niemals aushalten. Gleichzeitig ist es eben gerade diese Mehrfachbelastung, die Frauen so massiv unter Stress bringt.

Welche Rolle spielen die Hormone und damit auch hormonelle Umstellungen wie die Wechseljahre bei der Stressverarbeitung?

  • Dr. Popat: Die Wechseljahre sind im Prinzip eine Art umgekehrte Pubertät. Diese Phase des Übergangs ist eine anstrengende Angelegenheit. Es gibt keinen geregelten Hormonzyklus, das macht die Betroffenen nervlich dünnhäutig. Häufig sind auch die Ruhephasen in der Nacht stark gestört – was oft zu Erschöpfung und Stressanfälligkeit führt. Dennoch ist das kein Grund zur Beunruhigung, denn diese Phasen gehen ja vorbei.

Wie kann man Stress, innerer Unruhe und Schlafstörungen akut begegnen oder ihnen besser noch vorbeugen?

  • Dr. Popat: Da das größte Stresspotential ohnehin von innen kommt, ist es das Wichtigste, diesen Symptomen gegenüber zunächst einmal aufmerksam zu sein und ihnen dann aktiv zu begegnen. Denn erst, wenn einem bewusst ist, dass man gestresst ist, kann man versuchen, Pausen, Rituale und Erholungsphasen in den Alltag einzubauen. Zugleich stehen natürliche und effektive Medikamente zur Verfügung, mit denen sich in akute Unruhephasen eingreifen lässt, damit die Umsetzung von notwendigen Lebensstiländerungen - beispielsweise die Verbesserung des Zeitmanagements - gelingt.

Wie könnte ein Zeitmanagement aussehen, das tatsächlich persönliche Freiräume schafft, ohne sich noch mehr aufzubürden?

  • Dr. Popat: Das ist eine äußerst individuelle Angelegenheit. Aus Sicht der chinesischen Organuhr ist beispielsweise ein kurzes Mittagsschläfchen von zehn Minuten zwischen 13 und 15 Uhr die beste Voraussetzung, damit man am Nachmittag mit mehr Schwung und Effektivität agieren kann. Wichtig ist auch, in den Tagesplan Pufferzeiten einzubauen und natürlich bei der Planung des Tages auch daran zu denken, dass es mal eine Pause geben sollte. Tatsache ist, dass vieles leichter gelingt, wenn man es gelassen angeht. Vom Spaß und der geringeren Fehlerquote ganz zu schweigen.

Wie schafft man es, Dinge zu delegieren und die eigenen perfektionistischen Ansprüche zu reduzieren?

  • Dr. Popat: Das ist eine Frage der Erziehung und des Charakters. Meistens muss erst einmal etwas schief gehen, bevor sich Männer und vor allem Frauen von den hohen eigenen Ansprüchen zu verabschieden beginnen. Da dies sehr schwierig ist, gibt es inzwischen einige Trainings wie beispielsweise MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction), die unterstützend wirken können, weil man lernt, achtsam zu sein und die eigenen Gefühle und Grenzen besser wahrzunehmen. Bundesweit werden entsprechende Einstiegskurse, die zumeist acht Wochen dauern, von geprüften MBSR-Trainern angeboten.

Immer öfter ist von „Entschleunigung“ die Rede. Was ist das? Lässt sich das lernen?

  • Dr. Popat: Entschleunigung ist eine der Antworten auf den Drang der Menschen, in der heutigen, schnelllebigen Zeit alles immer sofort, perfekt und direkt zu bekommen oder zu tun. Der Genuss fehlt dabei ebenso wie die bewusste Wahrnehmung und das realistische Einschätzen von Kapazitäten und Kompetenzen - all dies führt zu Stress. Lernen kann Entschleunigung jeder, der sich auf Qualität besinnen möchte. Dabei sollte man sich bewusst werden, dass ein langsam und in Ruhe gebrühter Tee oder Kaffee besser schmeckt als Instantprodukte. Man sollte darauf achten, im Sitzen zu essen und in Ruhe die getane Arbeit wertzuschätzen. Doch all das gelingt nur bei Achtsamkeit und Respekt für Qualität.

Wie gelingt es, Entspannungstechniken effektiv in den Alltag zu integrieren?

  • Dr. Popat: Entspannungstechniken werden häufig in Kursen so gelehrt, dass sie im Alltag nicht umzusetzen sind. Lernt man Autogenes Training mit einer Matte im Liegen und schläft bei der 30-minütigen Übung jedes Mal ein, schafft das keine guten Voraussetzungen für eine dreimal tägliche Anwendung. Ich empfehle zum Beispiel das Autogene Training im Sitzen zu lernen und kurze Trainingszeiten zu wählen. Dreimal drei Minuten am Tag wirklich durchzuziehen - das schafft jeder.

Gibt es Medikamente, die für mehr Ruhe und Ausgeglichenheit sorgen, ohne abhängig zu machen?

  • Dr. Popat: Ja, es gibt solche Mittel, vorwiegend aus dem Fundus der Pflanzenheilkunde und Homöopathie. Diese Mittel, die als Einzelsubstanz oder Komplexmittel angeboten werden, sind seit vielen Jahren bewährt im Einsatz und überaus erfolgreich.

Welche homöopathischen Stoffe zeichnen sich durch eine besondere Wirksamkeit bei Stresssymptomen aus?

  • Dr. Popat: Da gibt es verschiedene Stoffe. So beispielsweise die Passionsblume, die in der Homöopathie als so genannte Niedrigpotenz gegen innere Unruhe gegeben wird. Kaffee hingegen ist bekannt, in größerer Menge Unruhe zu verursachen - durch homöopathische Verdünnung lässt sich jedoch der gegenteilige Effekt zuverlässig bewirken. Zinkvalerianat hat sich in niedriger Verdünnung als besonders starkes Mittel gegen Stresssymptome bewährt. Da viele Menschen durch Stress regelrecht energiearm werden, ist auch ein stärkendes Mittel sinnvoll, vor allem, wenn es hilft, die eigene Mitte wiederzufinden. Dazu empfehle ich gerne Avena Sativa, den Hafer. Gut aufeinander abgestimmt, sind diese vier Stoffe in Neurexan zu einem wirksamen Komplexmittel kombiniert.

Wie findet man in der Homöopathie das Mittel der Wahl und welche Vor- und Nachteile bietet sie?

  • Dr. Popat: Im Prinzip ist es ganz einfach. Das Mittel, welches in der natürlichen Konzentration ein bestimmtes Symptom auslöst, kann bei entsprechender Verdünnung (Potenzierung) eben dieses Symptom behandeln. Der Vorteil der Genauigkeit der Behandlung ist allerdings gleichzeitig der Nachteil. Denn es sind zeitaufwändige Analysen notwendig, um das passende Mittel zu finden. Mit natürlichen Komplexmitteln können hingegen mehrere Symptome wie innere Unruhe, Schlafstörungen und andere Stresserscheinungen komplett abgedeckt werden. Sollte es notwendig sein, gewinnt man mit der Behandlung Zeit, um in Ruhe das passende Einzelmittel herauszufinden. Häufig können die Symptome jedoch schon mit dem Komplexmittel erfolgreich behandelt werden.
Quelle: deutsche journalisten dienste (djd),